Gemäß der Tradition eröffnet das Österreichische Filmmuseum das neue Jahr mit einer italienischen Retrospektive zu Liliana Cavani (*1933) und Marco Bellocchio (*1939). Wir schließen damit direkt an die Filmschau zum 100. Geburtstag von Pier Paolo Pasolini (und Zeitgenossen) im Vorjahr an: Bellocchio und Cavani repräsentieren die Nachfolgegenerationen von Filmemacher*innen aus der Emilia-Romagna, die in den 1960ern und 1970ern zu Weltruhm gelangten, indem sie (wie Pasolini) einen eigenwilligen Weg zwischen Autorenfilm und Populärkino einschlugen.
„Unser Interesse galt einem neuen Kino, das die Probleme unserer Zeit behandelte. Wir interessierten uns für die Psychologie der Politik“, brachte Cavani einige Gemeinsamkeiten später auf den Punkt. Ihr berühmter, in Wien gedrehter Skandalfilm The Night Porter / Il portiere di notte (Der Nachtportier, 1974) mit seiner sadomasochistischen Liebesgeschichte vor Holocaust-Hintergrund zwischen Dirk Bogarde und Charlotte Rampling kann als endgültige Zuspitzung dieser Definition betrachtet werden.
Aber die Verbindungen sind tiefgreifender und umfassender: Es geht um ein Kino der Verunsicherung, das auf vielen Ebenen funktioniert – nicht nur psychologisch und politisch, sondern auch materialistisch und spirituell, bewusst mythologisch und oft satirisch. So hatte sich Bellocchio bereits mit seinem furiosen Spielfilmdebüt I pugni in tasca (Mit der Faust in der Tasche, 1965) als eine der führenden Stimmen dieses Aufbruchs im italienischen Filmschaffen etabliert, indem er mit grimmigem Witz von der Auslöschung einer dekadenten Bürgerfamilie durch den Sohn erzählte – wobei er im Landhaus der eigenen Familie und mit deren Geld drehte. Nicht nur in der schillernden Ambivalenz, sondern auch in der Vielfalt der Zugänge sind Cavani und Bellocchio verbunden geblieben.