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Essays zur Literatur #8

Lukas Pellmann, „Ich töte wen ich will“ von Fabio Stassi

 

Eigentlich sind es ja zwei spannungsgeladene Handlungsstränge, die Fabio Stassi in seinem Kriminalroman Ich töte wen ich will auf knapp 300 Seiten vorantreibt. Denn als gleich zu Beginn des Buches Unbekannte das Appartement des Hauptprotagonisten Vince Corso verwüsten, bringen sie nicht nur dessen Bücher- und Plattensammlung scheinbar wahllos komplett durcheinander, sie vergiften auch Corsos Hund Django. Die Frage, ob der Vierbeiner dieses Martyrium überstehen wird, treibt den Leser – so er es denn mit Hunden hält – fortan mindestens genauso um, wie die sich aus dem Einbruch ergebenden ermittlungstechnischen Entwicklungen, in denen Corso höchstselbst und wesentlich schneller als ihm lieb ist, zu einer zentralen Figur wird.

Ob Stassi antizipiert hat, was er lesenden Hundefreund*innen mit diesem Handlungsstrang antut oder diesen sogar ganz bewusst in seinem Kriminalroman platziert hat, lässt sich schwer beantworten, ohne mit dem Autor selbst darüber gesprochen zu haben. Ich könnte mir aber gut vorstellen, dass Stassi durchaus zahlreiche Zuschriften von lesenden Hundefreund*innen erhalten hat, die ihn für den grausamen literarischen Umgang mit einem Hund kritisierten und/oder sich erleichtert zeigten, dass der Autor den Hund am Ende der Handlung – Vorsicht, Spoiler! – doch noch verschonte und am Leben ließ. Denn ähnlich ist es mir nach meinem jüngsten Kriminalroman ergangen, in dem der Hauptprotagonist von einer Hündin namens Bella begleitet wird. Diese wird zwar nicht vergiftet, doch bleibt am Ende offen, ob die beiden eines Tages wieder zueinander finden werden. Die Herausforderungen, denen sich mein Protagonist im Laufe der Handlung stellen musste, riefen nicht annähernd so viele Reaktionen der Leser*innen hervor, wie das Schicksal von Hündin Bella. Ähnlich könnte es sich vielleicht auch bei jenen Rückmeldungen verhalten haben, die Stassi als Reaktion auf die italienische Erstveröffentlichung von Uccido chi voglio im Jahr 2020 erhalten hat.

Der Hund Django, an dessen Krankenbett Vince Corso zahlreiche Stunden Wache hält, ist eine Ursache dafür, dass ich den erstmals 2022 in deutscher Übersetzung in der Edition Converso erschienenen Kriminalroman von Fabio Stassi geradezu verschlungen und sehr zu schätzen gelernt habe. Der zweite Grund liegt in der spannend und kunstvoll angelegten Herleitung und Auflösung des Kriminalfalls, in den Stassi seinen Protagonisten verwickelt. Denn eine Mordserie, die scheinbar nichts mit seiner verwüsteten Wohnung zu tun hat, nimmt in Rom ihren Lauf und beginnt, immer engere Kreise rund um Vince Corso zu ziehen, bis er schließlich höchstselbst, wie durch eine unsichtbare Hand, just zu jenem Zeitpunkt an jene Orte geführt wird, die sich in der Folge als Tatort entpuppen. Das mag in vielen Kriminalromanen plump und ein bisschen zu konstruiert wirken, bei Fabio Stassi kommt ein solcher Gedanke den Leser*innen jedoch erst gar nicht in den Sinn, denn es erscheint ob der Handlung einfach als geradezu zwingend, dass Corso auf diese Art und Weise direkt mit den Taten in Kontakt kommt und somit selbst ins Visier der polizeilichen Ermittlungen gerät.

Als ich mich vor dem Kauf des Buches das erste Mal mit dem Hauptprotagonisten sowie der Handlung vertraut gemacht hatte, schrak ich kurz davor zurück, tatsächlich zu Ich töte wen ich will zu greifen. Denn gar nicht so selten kommt es vor, dass Autor*innen sich mit einer in der Buchbranche spielenden Handlung oder einer/einem Buchhändler*in als Täter/Opfer bei jener Berufsgruppe einzuschmeicheln versuchen, zeichnen diese doch letztlich dafür verantwortlich, das jeweilige Buch anzupreisen und zu verkaufen. Doch die nachdrückliche Empfehlung in der Buchhandlung List in der Porzellangasse ließ mich dann doch Vertrauen gewinnen. Und ich wurde nicht enttäuscht. Denn Fabio Stassi hat die Figur seines Protagonisten Vince Corso derart elegant und kreativ in die Welt der Literatur hineingepflanzt, dass es eine Freude war, sich voll und ganz auf den Bibliotherapeuten mit seinem schier unendlichen Wissen aus der Welt der Bücher einzulassen.

Egal ob Moby Dick von Herman Melville, Franz Kafkas Die Verwandlung oder die Philosophie der symbolischen Formen von Ernst Cassirer – Stassi baut zahlreiche Meisterwerke der Weltliteratur so gekonnt und gleichzeitig unaufdringlich in die Handlung seines Kriminalromans ein, dass man sich mit dem Lesen dieses Buches praktischerweise auch gleichzeitig ein erweitertes Einführungsseminar im Literaturstudium sparen könnte – inklusive detailliertem Anmerkungsteil mit Literaturempfehlungen im Anhang des Buches. Dort erfährt man zum Beispiel, welcher Roman für all jene geeignet ist, die von Duplikaten und Verdoppelungen besessen sind oder warum Leser*innen, die ein besonderes Auge auf falsche Angaben und Druckfehler geworfen haben, unbedingt Adriano Sofris Kafkas elektrische Straßenbahn lesen sollten. So bescherte mir Ich töte wen ich will nicht nur einen unterhaltsame und spannungsgeladene Lektüre, sondern diente mir gleichzeitig auch als Inspirationsquelle für weitere Werke und literarische Entdeckungsreisen, die ich ohne Fabio Stassis Werk sehr wahrscheinlich nicht (oder erst über Umwege) eingeschlagen hätte.

Und Stassi nimmt die Leser*innen nicht nur mit auf einen Ritt durch die Weltliteratur, er lädt in Ich töte wen ich will auch dazu ein, die Gassen, Märkte und Sehenswürdigkeiten der Millionenmetropole am Tiber auf den Spuren des durch die Stadt streifenden Vince Corso zu erkunden. Wenn Stassi das prächtige Gemüse und die herrlichen Früchte beschreibt, die am Nuovo Mercato Esquilino angeboten werden, tauchen Auberginen, Papaya und indische Zucchine vor dem geistigen Auge der Leser*innen auf, steigen die Gerüche von Safran und Kaffee in die Nase und verharren dort so lange, bis wir Vince Corso dabei begleiten, wie er mit blutgetränktem Hemd die Leiche eines jungen Mannes auf einen Verkaufsstand hebt, den zuvor noch Krustentiere, Kraken und Mollusken exklusiv für sich hatten. Ganz ohne anschließend von einer Leiche abgelenkt zu werden, erfährt man als Leser*in kurz zuvor, dass der Bäcker Eurysaces es vor langer Zeit fertiggebracht hatte, sich eine imposante Grabstätte vor der Porta Maggiore zu sichern und diese anschließend in der Gestalt eines Ofens ausgestalten zu lassen, inklusive Abbild jener Münder von Knettrögen, die er bei seiner tagtäglichen Arbeit benutzte. Im Übrigen nicht nur eine Grabstätte für sich selbst, sondern auch für seine Gattin, deren Urne sich ebendort in Form eines Brotkorbes befindet. Für Stassi (und in der Folge auch für seine Leser*innen) eine Erinnerung daran, dass sich in jedem Ofen sowohl Sauerteig als auch Asche befindet.

Und schließlich nimmt uns Stassi auch an Orte mit, die ein Tourist vielleicht so nie zu Gesicht bekommen würde, wie zum Beispiel jenen Teil der unterirdischen Basilika von Porta Maggiore, zu dem Besucher in der Regel keinen Zutritt haben und in dem er seinen Protagonisten Vince Corso einen gespenstischen Totentanz mitansehen lässt. Ob es einen solch’ geheimen Ort, an dem Corso mit an die Brust gezogenen Knien kauert, in den unterirdischen Gewölben tatsächlich gibt, ist dabei gar nicht so wichtig, denn alle beschriebenen Örtlichkeiten passen einfach perfekt in die Erzählung, scheinen in der Vergangenheit geradezu erschaffen worden zu sein, extra für die Verwendung in diesem Meisterwerk der italienischen Kriminalliteratur. Die Leser*innen begleiten Vince Corso nicht einfach nur auf all dessen Streifzügen durch Rom, sie schauen ihm nicht einfach nur über die Schulter. Nein, Fabio Stassi versteht es kraft seines literarischen Könnens, dass die Leser*innen all diese Erlebnisse und Beobachtungen mit den eigenen Augen miterleben können. Der Autor beschreibt nicht einfach nur was sich vor Ort abspielt, er tut das, was gute Literatur auszeichnet: Er versetzt die Leser*innen in die Situation, selbst vor Ort alles miterleben zu können – sie werden Augenzeug*innen der Erzählung. Und werden gegen Ende des Kriminalromans merken, dass nicht nur reale Figuren und echte Orte Vorbild für einen Roman werden können. Sondern dass es sich beim Wechselspiel zwischen Fiktion und Realität um eine Straße handelt, die in beide Richtungen befahren werden kann.

So ganz nebenbei, quasi als Städtetipp im Städtetrip, erfährt man in Ich töte wen ich will übrigens auch noch von der Existenz eines Museums der abgebrochenen Beziehungen in Zagreb. Es hätte diesen Hinweis nicht gebraucht, doch erinnert es den Rezensenten daran, dass die Beziehung zu den Büchern von Fabio Stassi fortan nicht so schnell wieder abgebrochen werden wird – ganz im Gegenteil.

Lukas Pellmann

 

Lukas Pellmann lebt seit seinem elften Lebensjahr in Wien. An der Universität Wien studierte er Geschichte & Politikwissenschaft, seitdem war/ist er unter anderem als Journalist und Blogger tätig. Im Herbst 2015 erschien mit Mord im Zweiten sein erster interaktiver Fortsetzungskrimi, zugleich war dies der erste Fall für das in Wien-Leopoldstadt ermittelnde Duo Chefinspektorin Vera Rosen sowie den ursprünglich aus Deutschland stammenden Kommissar Moritz Ritter. Bei Mord im Zweiten konnten Leserinnen und Leser via Social Media erstmals aktiver Teil der Handlung werden. Es folgten die interaktiven Fortsetzungen Hängende Spitze, Instamord und Ehrenrunde. Im Juni 2018 erschien mit Prater – Ein dystopischer Heimatroman Lukas Pellmanns erster Roman.

 

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